Blutkrebs anders
(das schrieb sich zwar gut, gefiel mir dann aber sehr schnell nicht mehr)
...
dass sie in der ersten Nacht im Survival-Camp ihre Eltern angerufen
habe, welche sie am frühen Morgen mit dem Auto abholten. Als die
Nachricht herauskam, dass die Mädchen sowie die Campleiterin
vermisst wurden, war sie entsetzt. Vor allem über die Anschuldigung
von dem Busfahrer. Bei Befragungen durch die Polizei sagte Mimiko
klipp und klar, dass sie die Campleitung für komplett unfähig hielt
und eher glaube, dass Inken den Mädchen etwas angetan habe als
andersherum. So stand Aussage gegen Aussage.
Bevor
ich mich hinsetzte, fiel Bea etwas ein und ich blieb stehen. „Die
haben im Radio gerade angesagt, dass irgendeine von uns angeblich
Blutkrebs hat.“
„Von
uns?“, fragte ich.
„Na,
von den anderen.“ Bea zeigte irgendwohin. Richtung Stadt. Richtung
Krankenhaus in Wolkenknochen.
„Von
den anderen? Wer denn?“
Bae
verstellte ihre Stimme tief: „Das Gerücht könne nicht bestätigt
werden.“
„Wieso
sagen sie das an, wenn es nur ein Gerücht ist? Das ist doch ein
seriöser Nachrichtensender.“
Das
Radio sang aus der Laube heraus mit einer bebenden Stimme von einem
weißen Strand, an dem sich jemand verlaufen hatte. Bitte was? Wie
kann man sich denn am Strand verlaufen.
„Klingt
das für dich seriös?“ Bea lachte.
Wir
beschlossen immer wieder, dass das nicht stimmen konnte. Das war doch
Quatsch. Blutkrebs, das war doch Leukämie, sagten wir. Da ist man
doch schwach und blass. Wer sollte das denn sein? Und hatten die das
jetzt erst heraus gefunden? Wenn die Eltern das gewusst hätten, dann
hätte die doch ihre Tochter nicht fahren lassen.
Dann
kamen endlich Nachrichten.
„Hier
ist die Stimme des Erzgebirges mit den 12 Uhr Nachrichten. – Die
Suche nach den zwei verbliebenen Mädchen aus dem Camp bei Bad
Heiligen geht weiter. Die fünf Mädchen, die vor zwei Tagen ihr
Versteck verlassen haben und in der Nähe von Drescherlandstock
aufgetaucht sind, haben bei Befragungen durch die Polizei keine
Angaben zum Verbleib der Mädchen machen können.
Die
Lage in Drescherlandstock spitzt sich zu. Das Stromnetz ist mehrfach
zusammengebrochen. Mit kurzzeitigen Versorgungsmängel in den
umliegenden Supermärkten ist zu rechnen. Polizei und Bürgermeister
bitten erneut die Medienvertreter und Schaulustige nicht weiter
anzureisen.“
„Krass“,
sagte Bea. „So ein Rummel. Unseretwegen.“
„Meinetwegen
nicht!“, sagte ich.
„Doch,
deinetwegen auch“, lachte sie. „Da wirst du nicht drum herum
kommen. Die werden dich anglotzen und dann sollst du was sagen.“
Ich
bestand spontan nur noch aus Darm.
„...Gerücht,
dass das betreffende Mädchen an Blutkrebs leide, könne von
offizieller Seite nicht bestätigt werden“, sagte der Sprecher.
„Was?
Jetzt haben wir es verpasst“, rief ich.
Bea
hob wieder ihre Hände und senkte sie. Das klappte bei mir nicht
mehr. Ich war kein Reh, dass sich verlaufen hatte. „Ich glaube, sie
meinten das Mädchen, das im Krankenhaus ist, also Yvette.“
Dann
saßen wir herum und machten uns Sorgen. Große und kleine. Das war
ein Scheißtag. Die Winselmutter fackelte den Tunnel ab. Yvette hatte
vielleicht Blutkrebs. Ich galt als vermisst. Manchmal vemisste ich
mich auch. Mein altes Leben. Konnte ich dahin zurück? Würden meine
Eltern mich noch erkennen?
„Blutkrebs“,
sagte Bea „Da braucht sie einen Spender. Am besten aus der
Familie.“
Und keine von uns musste es aussprechen.
„Man
hat ja inzwischen viel darüber gehört und gelesen...“, sagte eine
Journalistin. „Das Krankenhaus hat bis heute morgen dementiert,
dass Yvette an Blutkrebs leidet ... heute morgen nun die Bestätigung,
dass dringend nach einem Spender gesucht wird. Warum hat das
Krankenhaus so lange gewartet, diese schockierende Nachricht an die
Öffentlichkeit zu geben?“
Die
Mädchen sahen alle zur Seite. Dort saß eine Frau. Und sie war die
Frau für die Frage oder das war die Frage für die Frau. Sie setzte
sich gerade hin. „Da würde ich gern was dazu sagen. Frau Doktor
Arnold mein Name. Wir haben zuallererst nach einem passenden Spender
in allen vorhandenen Spenderdateien gesucht. Natürlich sind zuerst
die Eltern getestet worden. Wir wollten diese Ergebnisse erst
abwarten, denn wenn sich ein geeigneter Knochenmarkspender für
Yvette Tuckermann gefunden hätte, müsste ich jetzt nicht tun, was
ich jetzt leider tun muss. Ich rufe alle dazu auf, sich testen zu
lassen. Möglicherweise können wir so schnellstmöglich einen
Spender finden. Und falls ihnen das nicht bewusst ist. Es zählt
jeder Tag.“ Dann schaute sie nach links, nach rechts. Die Mädchen
nickten. Yvette schaute nach unten. Das spitze Kinn auf die Brust
gelegt. Die spitzen Ohren hoch. Sie sah durch die kurzen Haare
wirklich ein bisschen krank aus.
Ole
wackelte hin und her. „Fällt euch was auf?“ Und ohne uns
antworten zu lassen, redete er gleich weiter.
Wir
bestätigten uns, wie geil der Blutkrebs-Plan war. Keiner von uns kam
auf die Idee, dass Yvette wirklich Blutkrebs haben könnte.